Neutrino-Sensation oder vorschnelle Euphorie?
Erst in unserem letzten Artikel berichteten wir von KATRIN – dem Karlsruhe Tritium Neutrino Experiment – das nach 15 Jahren Vorbereitungszeit Anfang Juni 2018 endlich gestartet ist. Ziel der aufwändigen Versuchsanordnung ist es, der noch immer nur grob bekannten Masse von Neutrinos auf die Spur zu kommen.
Nun aber könnte es die nächste Sensation zum Thema Neutrinos geben: Mit einem Teilchendetektor des Experiments MiniBooNE in den USA wurde möglicherweise eine vierte Art von Neutrinos gefunden.
Bisher sind drei Neutrino-Familien, sogenannte Generationen, bekannt: Elektron-, Myon- und Tau-Neutrinos sowie ihre Antiteilchen. Allen Neutrinos gemein ist, dass sie sich in eine andere Generation transformieren können und nur sehr selten und schwach mit anderer Materie wechselwirken. Somit wird die Beschaffung von Informationen über diese Teilchen sehr mühsam und erfordert hochpräzise Experimente.
Seit einiger Zeit vermuten Wissenschaftler, dass es noch eine vierte Neutrino-Generation geben könnte, die noch deutlich weniger über sich preisgibt. Diese vierte Generation wird „steril“ genannt, da sie nicht mehr mit gewöhnlicher Materie wechselwirkt.
Dass diese Teilchen tatsächlich existieren wird jedoch in der Wissenschaftsgemeinschaft kontrovers diskutiert; der ausbleibende Nachweis durch mehrere Experimente ließ ihre Existenz sogar sehr unwahrscheinlich werden.
Das Experiment MiniBooNE (BooNE als Akronym für Booster Neutrino Experiment) am Fermi National Accelerator Laboratory in Chicago, das vor allem Neutrino-Oszillationen beobachten soll, könnte nun aber wieder Schwung in die Debatte bringen. Innerhalb seiner bereits 15-jährigen Laufzeit stand die Umwandlung aus Myon-Neutrinos in Elektron-Neutrinos im Forschungsmittelpunkt. Das Kuriose: Bei dieser Untersuchung sind insgesamt etwa 400 Neutrinos zu viel detektiert worden, als die Forscher vorher erwartet hatten!
Die naheliegende Erklärung der Wissenschaftler ist, dass sich die Myon-Neutrinos im Flug in die sterilen Neutrinos umgewandelt haben, die ihrerseits dann zum Teil in Elektron-Neutrinos transformiert sind. Diese letzte Transformation findet den Modellen zufolge häufiger statt als die zwischen Myon- und Elektronen-Neutrinos und würde den "Überschuss" erklären.
Die weltweite Wissenschafts-Community ist jedoch eher skeptisch. So sagte Manfred Lindner, Direktor am Max-Planck-Institut für Kernphysik, auf der 28. Internationalen Konferenz zu Neutrino-Physik und Astrophysik in Heidelberg kürzlich, dass die theoretische Motivation für sterile Neutrinos durchaus nachvollziehbar, die experimentellen Nachweise jedoch noch nicht überzeugend seien.
Auch die zugrundeliegenden Modelle, mit denen die Wissenschaftler des Fermi-Labs ihre Vermutung untermauerten, werden zunehmend in Frage gestellt.
Das Nachfolgeexperiment von MiniBooNE, das auf "MicroBooNE" getauft wurde, soll 2019 anlaufen und die Messungen vertiefen. Auch sollen Fehlmessungen untersucht und möglichst ausgeschlossen sowie die Tiefe und Transparenz der Datenanalyse verbessert werden.
Letztendlich wird sich diese neuartige Hypothese jedoch erst in der Forschergemeinschaft durchsetzen, wenn auch andere, unabhängige Experimente dieselben Ergebnisse reproduzieren.
