Die Revolution der Unschärfe
Es waren Kondensspuren von Elektronen in Nebelkammern, die Werner Heisenberg im Winter 1926/27 dazu veranlassten, seinen Freund und Kollegen Niels Bohr in Kopenhagen zu besuchen.
Diese Kammern wurden zu dieser Zeit häufig verwendet und die Entstehung der Spuren war bereits geklärt: Das Elektron durchläuft das Gas im Inneren, welches im Zustand knapp vor der Kondensation ist. Dadurch hinterlässt es Kondensationskeime im Gas, an denen sich kleine Wassertröpfchen absetzen. Das eigentliche Rätsel für Bohr und Heisenberg war jedoch die Form der Bahnen, die die Elektronen nahmen.
Und so trafen sich die genialen Wissenschaftler, um mit Hilfe der noch jungen Quantenphysik zu versuchen, das Mysterium der Bahnen zu entwirren.
Nach endlosen Versuchen und Diskussionen kam Heisenberg schließlich die entscheidende Idee. Er erkannte, dass die Spuren in der Nebelkammer keine konkreten Bahnen sind. Vielmehr geben sie bloß die ungefähren Aufenthaltsorte der Elektronen wieder. Und indem Heisenberg bewusst auf die nach der klassischen Physik erwarteten Bahnen verzichtete und mit diesen unscharfen Spuren arbeitete, passte seine Hypothese plötzlich perfekt in die Quantenmechanik.
Dennoch konnten beide Wissenschaftler diese Erkenntnis nicht in das damals herrschende Verständnis der Natur einordnen.
Doch diese Hürde sollte ausgerechnet durch ein einschneidendes Erlebnis während Heisenbergs Promotion überwunden werden: Bei der Verteidigung seiner Doktorarbeit war es kein geringerer als Wilhelm Wien (Wiensches Verschiebungs- und Strahlungsgesetz, Nobelpreis 1911), der ihn nahezu durchfallen ließ, da Heisenberg Fragen zum Auflösungsvermögen eines Mikroskops nicht befriedigend erläutern konnte.
Sich darauf zurück besinnend überlegte sich Heisenberg im Falle der Elektronen, was geschehen würde, wenn man ein solches Teilchen durch ein Mikroskop beobachten würde. Zunächst benötigte man „Licht“ mit kürzerer Wellenlänge als die optische Strahlung, so zum Beispiel Gammastrahlung. Doch diese sehr energiereiche Strahlung bringt einen weiteren Effekt mit sich: Trifft Gammastrahlung auf ein Elektron, stößt es dieses an, wodurch sich die Geschwindigkeit des Elektrons ändert. Je genauer also der Ort eines Elektrons bestimmt werden soll, desto energiereichere Gammastrahlung wird benötigt. Daraus folgt jedoch auch, dass die Geschwindigkeit immer ungenauer bestimmbar wird. Umgekehrt lässt sich mit zunehmend genauer Bestimmung der Geschwindigkeit der Ort des Teilchens immer ungenauer bestimmen – eine der beiden Größen wird somit zwingend immer „unschärfer“, je genauer die andere ermittelt werden soll.
Diese Theorie, dass die Genauigkeit von Ort und Geschwindigkeit begrenzt ist, entsprang zudem nicht zuletzt daraus, dass quantenmechanische Teilchen sowohl Wellen- als auch Teilchencharakter besitzen und deshalb „verwaschen“ und nicht scharf definiert sind.
Mit seiner bahnbrechenden Erkenntnis widerlegte Heisenberg auf einen Schlag die fundamentale Theorien der klassischen Physik, nach denen sich alle Messgrößen exakt bestimmen lassen. Und auch Albert Einstein, dessen Relativitätstheorie auf der Schärfe von messbaren Größen beruhte, musste nach einer zufriedenstellenden Erklärung suchen, die beide Ansichten vereinte. Da die entscheidenden Experimente zur Klärung dieses Konflikts jedoch erst lange nach Einsteins Tod durchgeführt werden konnten, ging diese Diskussion als „Bohr-Einstein-Debatte“ in die Wissenschaftsgeschichte ein.
Doch auch heute ist das Thema von großer Brisanz. So Streiten sich sowohl Philosophen als auch Physiker über die Bedeutung der heisenbergschen Unschärferelation und ob sie so endgültig ist, wie es Heisenberg und Bohr vermuteten.
