Der praktikable Einstein
Welle? Teilchen? Wellenteilchen? Was ist Licht? Auf diese scheinbar simple Frage gibt es bis zum heutigen Tag keine eindeutige Antwort. Was man jedoch mit Gewissheit sagen kann: Licht ist eine sehr variable Sache. Es kann durch Spiegel, Linsen, Filter und sonstige Apparaturen und Stoffe auf vielfältigste Art und Weise beeinflusst werden. So weit, so bekannt.
Dass Licht allerdings auch der Schwerkraft unterliegt, scheint zunächst unvorstellbar. Doch Albert Einstein konnte es sich vorstellen. Als Teil seiner Allgemeinen Relativitätstheorie postulierte er, dass sogenannte Gravitationslinsen die Krümmung der Raumzeit sichtbar werden würde. Das oft genutzte Bild des Gummituches, auf dem die Planetenkugeln einsinken, hilft hier der Vorstellungskraft auf die Sprünge (auch wenn dieses Modell selbst nicht ganz ideal ist). Und so wie eine Murmel auf diesem Gummituch immer von seiner Krümmung abgelenkt wird, wird auch Licht – so Einsteins revolutionäre Behauptung – von dieser Verzerrung beeinflusst. Da Licht jedoch aus unzähligen „Murmeln“ (oder doch Wellen?) besteht, wird es sogar mehrfach abgelenkt und sucht sich daher verschiedene Wege um das raumzeitkrümmende Objekt herum. Laut Einsteins Theorie sollte so teilweise eine Art Ring um den krümmenden Körper auftauchen, der sogenannte Einsteinring. Nachdem das Phänomen der Lichtkrümmung durch große Massen schon wenige Jahre nach Einsteins Veröffentlichung durch die Beobachtung einer Sonnenfinsternis 1919 belegt wurde, gehört es zu den faszinierendsten, real beobachtbaren Effekten der Schwerkraft.
Wie beobachtbar eine solche „Erscheinung“ tatsächlich ist, haben jetzt Forscher um Kailash C. Sahu vom Space Telescope Science Institute (STScI) am eigenen Leib erfahren dürfen. Sie beobachteten das zunächst unscheinbare Doppelsternsystem namens Stein 2051, das aus einem Roten Zwerg (Stein 2051 a) und einem Weißen Zwerg (Stein 2051 b) besteht, die sich in 18 Lichtjahren Entfernung zur Erde umkreisen.
Die Beobachtung dieses Systems zeigte, dass Stein 2051 b durch seine Gravitationswirkung das Licht eines entfernten Sternes krümmt. Und mit Hilfe dieser Krümmung war es den Forschern erstmals – ganz praktisch – möglich, die Masse eines Sterns zu bestimmen.
So sind die aktuellen Messungen bis zu 1000-mal präziser als die, die Eddington und Dyson 1919 bei jener Sonnenfinsternis machten, die Einsteins Theorie belegen sollte.
Während andere Astronomen oft den „perfekten“ Einsteinring suchen – dieser entsteht, wenn die Himmelskörper auf genau einer Linie stehen –, suchte Sahu nach einem unvollständigen Ring, da so eine Massenberechnung des Ablenkers möglich ist. Und so fanden sie in Stein 2051 b einen geeigneten Kandidaten und beobachteten ihn zwischen Oktober 2013 und Oktober 2015 mit dem Hubble-Weltraumteleskop. Im März 2014 beobachteten sie schließlich, wie der Weiße Zwerg eine hinter ihm liegende ferne Sonne scheinbar verschob. Aus diesen Beobachtungen konnte das Team berechnen, dass Stein 2051 b etwa 68% der Sonnenmasse besitzt und dabei nur 1% ihres Radius einnimmt.
Somit ist es erstmals gelungen, ganz praktische Ergebnisse aus Einsteins berühmter Theorie zu ziehen und sie im astronomischen „Alltag“ einzusetzen.
Einstein hat also gewissermaßen, über 100 Jahre nach Veröffentlichung seiner Theorie, ein neues Werkzeug für Astronomen etabliert, um Massen von Objekten zu bestimmen, die auf anderem Wege nicht zu ermitteln wären.
In Zukunft, so träumen manche Forscher nun, könnten auf diese Weise unzählige Himmelskörper auf ihre Masse hin untersucht werden, was die praktische Astronomie tief in die Weiten des Alls tragen würde.

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