Die Gerüchte der Schwerkraft
Die Gravitationswellen-Gerüchteküche brodelt! Mit einer überschwänglich gesendeten Twitter-Nachricht brachte der Astronom Jay Craig Wheeler der Universität von Texas die Lawine ins Rollen. „Neue LIGO-Quelle mit optischem Gegenstück. Das haut euch von den Socken!“, twitterte er, frei übersetzt, am 18. August dieses Jahres. Und obwohl sich Wheeler inzwischen für seine vorschnelle Veröffentlichung entschuldigt hat, verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Und so spricht mittlerweile sogar das LIGO-Team (Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory) selbst von "sehr aufregenden Beobachtungen".
In der kürzlich abgeschlossenen Beobachtungskampagne, die vom 30. November 2016 bis 25. August 2017 lief, suchten erst die LIGO-Detektoren allein, ab dem 1. August 2017 dann auch der Virgo-Detektor bei Pisa, nach neuen Signalen der Schwerkraft. Die Forscher der Einrichtungen halten sich jedoch bedeckter und gehen bisher nicht auf die Gerüchte ein. Doch was bedeutet es überhaupt, wenn Wheelers Nachricht korrekt ist und tatsächlich die Ursache der gemessenen Gravitationswellen auch optisch detektiert wurde?
Die bislang bekannten positiven Messungen von Gravitationswellen – Wellen in der Raumzeit, die erstmals fast genau 100 Jahre nach Albert Einsteins Vorhersage aufgezeichnet wurden – entstammen alle dem Zusammenstoß von Schwarzen Löchern. Dabei entstehen für diese Ereignisse typische Signale, die eindeutig den Ursprung diesen Kollisionen zuordneten. Seit den ersten Messungen hoffen Astrophysiker jedoch auch, Gravitationswellensignale anderer Ereignisse zu messen. Diese könnten zum Beispiel aus der Verschmelzung von Neutronensternen oder der Explosion von Sternen hervorgehen. Das besondere an diesen Ereignissen wäre, dass sie auch Strahlung im elektromagnetischen Spektrum aussenden, die dann von Teleskopen erfasst werden könnte. Nach Wheeler meldete sich auch der Astronom Peter Yoachim der Universität von Washington in Seattle zu Wort und verkündete, dass LIGO ein Ereignis in der Galaxie NGC 4993 im Sternbild Hydra beobachtet habe. Diese Galaxie ist etwa 130 Millionen Lichtjahre entfernt und wurde zur besagten Zeit auch von Teleskopen im optischen Bereich beobachtet.
Und so setzten sich die Gerüchte weiter fort: So soll das NASA-Teleskop FERMI die Region im Gammastrahlen-Bereich untersucht haben, während das Hubble-Teleskop wenig später seine Geräte auf die Galaxie ausgerichtet haben soll, um das Nachglühen einer möglichen eutronensternverschmelzung zu beobachten. Auch das Röntgenteleskop Chandra soll laut Peter Coles der Cardiff-Universität auf die besagte Stelle geblickt haben und verzeichnet in den öffentlichen Daten einen kurzen Gammablitz am 17. August 2017. Zu guter Letzt legen auch die Aufzeichnungen des VLT (Very Large Telescope) und des ALMA-Teleskops (Atacama Large Millimeter/submillimeter Array) in Chile nahe, dass sie in den Tagen vor dem 20. August die besagte Region beobachteten. Somit scheint ein Bekanntwerden der LIGO-Detektion in Fachkreisen und eine anschließend bewusste Beobachtung der Region naheliegend.
Sollte sich bestätigen, dass tatsächlich zwei verschmelzende Neutronensterne für die Gravitationswellen verantwortlich sind, würde das wertvolle neue Informationen liefern. So könnten nicht nur bisher ungeklärte Fragen zur Entstehung von Neutronensternen und Gammablitzen beantwortet werden, sondern es wäre auch möglich, Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie so genau wie noch nie zu testen.
Bis die LIGO-Daten allerdings offiziell werden, wird noch eine Weile vergehen müssen. Eine umfassende Prüfung und Analyse aller Aufzeichnungen ist trotz der jetzigen Aufregung unumgänglich und stellt die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse sicher. Bis es soweit ist bleibt die eventuelle Vergabe des diesjährigen Nobelpreises im Oktober das nächste große Kapitel der noch jungen Gravitationswellenastrophysik.
