Ein rätselhafter Zwerg
Sie ist eine postulierte Form von Materie und sozusagen eine "Notlösung": die Dunkle Materie. Sie wurde in das Standardmodell der Kosmologie eingeführt, um die Diskrepanz zwischen beobachteter und berechneter Bewegung von sichtbarer Materie im All (in Galaxien) auszugleichen und ist heute Standard in kosmologischen Modellen. (Mehr Lesestoff über die aktuelle Forschung an Dunkler Materie gibt es hier und hier). Und so konnte sich im Laufe der Jahrzehnte eine ganze Sammlung an Indizien etablieren, die die Existenz einer unsichtbaren und gravitativ wirkenden Materieform belegen.
Eine kürzlich entdeckte Zwerggalaxie mit dem Namen NGC 1052-DF2 springt nun allerdings aus der Reihe: In 65 Millionen Lichtjahren Entfernung zeigt sich die Zwerggalaxie mit 250-mal weniger Sternen als unsere Milchstraße.
Im Bild der ungewöhnlichen Welteninsel (s.u.) fehlt auffällig jegliche Struktur und sie zeigt sich als nahezu durchscheinender Nebel, sodass sogar die Galaxien im Hintergrund zu sehen sind. Auch eine sonst übliche Verdichtung im Zentrum der Galaxie oder gar Spiralarme fehlen völlig. Zudem konnte bisher auch kein zentrales Schwarzes Loch nachgewiesen werden. Mit diesen Eigenschaften gliedert sie sich in die Gruppe der ultradiffusen Galaxien ein, die sich durch eine extrem geringe Leuchtkraft auszeichnen und somit nur sehr alte Sternpopulationen beinhalten.
Pieter van Dokkum der Yale University und sein Team von Astronomen nahmen diese Auffälligkeiten zum Anlass, NGC 1052-DF2 genauer zu untersuchen. Dabei beobachteten sie die Eigenbewegung von zehn Kugelsternhaufen, wodurch eine Berechnung der Galaxienmasse möglich war. Während bei „normalen“ Galaxien hier die Dunkle Materie eine sehr wichtige Rolle spielt, da nur durch sie die Bewegungen erklärt werden können, zeigte sich bei NGC 1052-DF2, dass sich nahezu alle Bewegungen allein durch die gravitative Wirkung der sichtbaren Materie erklären lassen.
Van Dokkums Schlussfolgerung: In der Zwerggalaxie fehlt scheinbar jegliche Dunkle Materie bzw. nimmt maximal ein Vierhundertstel der Galaxienmasse von etwa 300 Millionen Sonnenmasse ein.
Dieses Ergebnis komme, so van Dokkum, völlig überraschend für die Forscher, da bisher als sicher galt, dass die Dunkle Materie nötig ist, um jede Galaxie zusammen zu halten. So zeige NGC 1052-DF2, dass Galaxien offenbar doch nicht zwingend auf Dunkle Materie angewiesen sind.
Die bisherigen Erklärungen dieses Phänomens sind nur Vermutungen: Möglicherweise hat zum Beispiel die zeitgleiche Entstehung mehrerer riesiger Sterne das verbliebene Gas und die Dunkle Materie aus der Galaxie geschleudert. Denkbar wäre auch, dass die nahe gelegene Ellipsen-Galaxie NGC 1052 die Dunkle Materie in einer Phase des Wachstums „abgesaugt“ hat. Doch bisher ist die Zwerggalaxie ein Einzelfall. Daher ist es nun das Ziel des Teams, weitere Welteninseln zu finden, die ebenfalls ohne Dunkle Materie auskommen, um die genauen Ursachen kennen zu lernen.
