Dunkle Materie, rätselhafte Materie
Sie riecht nicht, sie schmeckt nicht und man kann sie nicht (direkt) sehen: Dunkle Materie. Diese von Astrophysikern und Kosmologen postulierte Form der Materie ist eine Art Hilfsmittel, um die Abweichung zwischen berechneter und tatsächlich beobachteter Bewegung von sichtbarer Materie im Universum zu erklären. Das bekannteste Beispiel dieser Abweichung ist die Bewegung unserer Milchstraße: So stellten Wissenschaftler fest, dass sich die Sterne in den Außenbereichen ihrer Spiralarme deutlich schneller bewegen, als es die bloße Einwirkung von sichtbaren Sternen, Staub- und Gaswolken vermuten lassen würde. Nach den Gesetzen der Physik müsste die Rotationsgeschwindigkeit in den Außenbereichen nämlich abnehmen. Aus diesem Grund wurde eine "unsichtbare Masse" postuliert, die aufgrund ihrer gravitativen Auswirkungen für die erhöhte Geschwindigkeit verantwortlich ist.
Forscher gehen heute davon aus, dass insgesamt 23% der gesamten Materie im Universum zur Dunklen Materie gehören. (Die "normale", sichtbare Materie nimmt laut Standardmodell der Kosmologie nur knapp 5% ein! Die restlichen 72% sind Dunkle Energie.) Dennoch bleibt das Konstrukt der Dunklen Materie ein Hilfsmittel, dessen tatsächliche Existenz nicht nachgewiesen ist. Das Standardmodell basiert lediglich darauf, dass sich die Materieverteilung in Simulationen bisher gut bewährt hat.
Und auch die Natur und Beschaffenheit von Dunkler Materie bleibt unklar. Die einfachste Vorstellung geht davon aus, dass sich Dunkle Materie aus schwach wechselwirkenden, sich nur langsam bewegenden Teilchen zusammensetzt. Aus diesem Grund spricht man hier auch von sogenannter kalter Dunkler Materie, mittels dieser sich große Strukturen wie Galaxienhaufen exakt beschreiben lassen. Auf kleineren Skalen des Universums – zum Beispiel bei der Rotation von Galaxien – ist die kalte Dunkle Materie allerdings weniger anwendungsfreundlich.
Justin Khoury von der Universität Pennsylvania und Lasha Berezhiani von der Princeton University stellten aufgrund der rätselhaften Verhaltensweise von Dunkler Materie auf verschiedenen Größenskalen nun eine neue Theorie vor, die dieses Rätsel lösen soll. Sie gehen davon aus, dass Dunkle Materie auf verschiedenen Skalen in verschiedenen Zuständen existiert. Während sich nach ihrer Hypothese in Galaxien-Halos – ein kugelförmiger Bereich, der größer als die Galaxie selbst ist und in dessen Zentrum die Galaxie liegt – Dunkle Materie wie eine Supraflüssigkeit verhält, fehlen auf Größenskalen von Galaxienhaufen die Bedingungen dafür, sodass sich Dunkle Materie dort wie die etablierte kalte Dunkle Materie zeigt. Auf diese Weise ließen sich auch Beobachtungen erklären, bei denen das bisherige Modell versagte.
Mit Hilfe der neuen Theorie kann nun auch die Suche nach Dunkler Materie erweitert werden. Während sich die Anstrengungen bislang darauf konzentrierten, schwach wechselwirkende massereiche Teilchen, sogenannte WIMPs (engl., Weakly Interacting Massive Particles), aufzuspüren, legt Khourys und Berezhianis Hypothese nahe, dass Dunkle Materie aus einer anderen Art von Teilchen bestehen könnte. Diese wären etwa eine Milliarde Mal masseärmer als die WIMPs und würden deutlich häufiger im Universum vorkommen. Auch würden sie stark miteinander agieren müssen, um den Zustand der Supraflüssigkeit einnehmen zu können.
Um ihr neues Modell zu prüfen, müssen die Wissenschaftler nun nach Testmöglichkeiten suchen, anhand derer sich ein supraflüssiger Zustand von Dunkler Materie beobachten lässt. Ein vielversprechendes Ereignis sind hier beispielsweise verschmelzende Galaxien, in deren Materieverteilung sich typische Muster finden lassen müssten.
Zudem ist die Theorie nicht frei von kritischen Knackpunkten, sodass uns eines der Rätsel des Universums wohl doch noch etwas erhalten bleibt.
