Der Stoff aus dem die Sterne sind
Der Kampf um die Gleichstellung und – berechtigung von Mann und Frau ist keine Modeerscheinung des letzten Jahrzehnts. Schon immer kämpfte das von Männern als „schwach“ betitelte Geschlecht für eine Gleichbehandlung und die damit verbundenen Rechte. Spätestens in Zeiten von Social Media und einer weltweiten Vernetzung ist dieser Kampf in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und so vergeht kein Tag, an dem nicht mindestens ein Schicksal einer Frau durch die Medien läuft – sei es vor historischem Hintergrund oder aufgrund einer aktuellen Debatte –, die in unserer patriarchalisch geprägten Gesellschaft Steine in den Weg gelegt bekam.
Eines dieser Schicksale ist das einer Astrophysikerin, die mit einer grundlegenden Erkenntnis die Astronomie revolutionierte und dennoch (ausgenommen von Fachkreisen) weitgehend unbekannt blieb: Cecilia Payne-Gaposchkin.
Geboren am 10. Mai 1900 in Wendover, England, genoss Payne-Gaposchkin bis zu ihrem zwölften Lebensjahr eine für damalige Verhältnisse gute Schuldbildung, wobei sie neben Französisch und Deutsch auch in Latein, Arithmetik, Geometrie und Algebra unterrichtet wurde. Nachdem die Familie jedoch nach London gezogen war, um ihrem Bruder eine bessere Schuldbildung zu ermöglichen, musste Payne-Gaposchkin auf diese Privilegien verzichten und wurde im religiös geprägten St. Mary’s College, Paddington, unterrichtet. Nachdem sie mit 18 Jahren die St. Paul’s Girls‘ School, Brook Green, Hammersmith, besuchte, erhielt sie bereits ein Jahr später das Mary Edward Stipendium und begann ihr Universitätsstudium am Newnham College, Cambridge, das zur damaligen Zeit allerdings keine akademischen Grade an Frauen verlieh. Dort erhielt sie u.a. Unterricht in Physik von Niels Bohr; der Astronomie-Unterricht wurde von Arthur Eddington geführt.
Harlow Shapley, Leiter des Harvard College Observatory, ermutigte sie schließlich dazu, sich weiter der Wissenschaft zu widmen, statt eine für Frauen in der Wissenschaft übliche Laufbahn als Lehrerin einzuschlagen. So bewarb sich Payne-Gaposchkin noch im selben Jahr für den Adams Prize, den sie gewann.
Die Forschungen, mit denen sie sich für den Preis gewann und die sie zu dieser Zeit noch nicht einmal komplett abgeschlossen hatte, waren revolutionär: Es deutete alles darauf hin, dass Wasserstoff und Helium die am häufigsten vorkommenden Stoffe in Sternen sind. Ein erster Entwurf ihrer Adams Prize-Veröffentlichung, den sie an den führenden Astronomen Henry Norris Russel sendete, wurde – wohlgemerkt in einer Zeit, in der man glaubte, Sterne bestünden aus ähnlichen Elementen wie die Erde – mit den Worten „clearly impossible“ zurückgesandt. Russell selbst erkannte erst 1929 die Richtigkeit ihrer Thesen.
Nachdem sie 1925 ihren Doktortitel am Radcliffe College erhielt (Harvard erkannte erst ab 1948 auch Frauen ihren Doktortitel an), begann sie eine unterbezahlte Assistenzstelle bei Harlow Shapley, die ihr außerdem nicht gestattete, wissenschaftliche Erkenntnisse zu veröffentlichen. Zu einer dieser Erkenntnisse gehörte u.a. der Stark-Effekt (1913 nach Johannes Stark), den sie 1925 im Spektrum heißer Sterne fand aber nicht darüber schreiben durfte, da sowohl Shapley als auch Russell skeptisch hinsichtlich der Richtigkeit ihrer Ergebnisse waren.
Nachdem sie 1931 offiziell US-Amerikanerin wurde und auf einer Europa-Russland-Reise ihren Ehemann Sergei Gaposchkin kennenlernte, begann das Paar, gemeinsame Veröffentlichungen zu schreiben, sodass es heute etwa 350 Publikationen von Cecilia Payne-Gaposchkin gibt. 1938 wurde Payne-Gaposchkin schließlich offiziell als Astronomin anerkannt, 1956 sogar zur ersten Professorin der Harvard University ernannt wurde. Und auch nach ihrer Pensionierung 1965 arbeitete sie weiter und forschte am Smithsonian Astrophysical Observatory bis zu ihrem Tod 1979.
Die Geschichte von Cecilia Payne-Gaposchkin zeigt, wie die verdiente Anerkennung Frauen in wissenschaftlichen Gebieten oftmals verwehrt blieb: Noch heute weiß jedes Kind, dass Einstein die Relativitätstheorie oder Newton die Gesetze der Gravitation entdeckte. Dass die häufigsten Elemente des Universums – unser tatsächlicher Urstoff – Wasserstoff und Helium sind, bleibt oft ein namenloser Fakt, dessen Entdeckerin zu wenig Tribut gezollt wird: Cecilia Payne-Gaposchkin.
