Antimaterie – die Science-Fiction über unseren Köpfen
Hört man das Wort "Antimaterie", schießen schnell diverse Science-Fiction-Szenarien in den Kopf: Die Materie-Antimaterie-Reaktion als Energiequelle für den Warp-Antrieb oder als gefährliche Waffe in der Welt von Star Trek oder Dan Browns Bestseller Illuminati. Dor stellen Wissenschaftler am CERN Antimaterie her, die in den falschen Händen verheerende Folgen für die ganze Menschheit hätte. Das sind nur zwei von unzähligen Beispielen, wie die (für den "normalen Menschen") mysteriöse Antimaterie die Fantasie der Autoren beflügelt.
Weniger mysteriös ist Antimaterie hingegen für die Wissenschaft, die sie als Materie aus Antiteilchen definiert. Jedes Elementarteilchen existiert auf zwei vollständig symmetrische Arten, in denen es vorkommen kann: Teilchen und Antiteilchen. Das Antiteilchen des Elektrons ist beispielsweise das Positron. Sie sind in Masse, Spin, gewissen Wechselwirkungsparametern und Lebensdauer identisch. Hingegen sind jedoch zum Beispiel ihre elektrischen Ladungen entgegengesetzt. Aufgrund dieser Symmetrie können sich auch Antiteilchen zu Materie – besagter Antimaterie – vereinen.
Stößt jedoch ein Teilchen mit seinem Antiteilchen zusammen, kommt es (meistens) zur sogenannten Annihilation oder Paarvernichtung, bei der sich beide Teilchen vernichten und in ein resultierendes anderes Teilchen verwandeln (so ergibt z.B. die Annihilation von Elektron und Positron zwei Photonen).
Was nach viel Theorie, Laborexperimenten oder weit entfernter Astrophysik klingt, ist jedoch auch auf der Erde ein vollkommen reales Phänomen. Wie real, konnten Forscher bereits 2015 feststellen, als sie während eines Fluges durch einen Hurrikan eine Antimaterielawine registrierten. Dabei nahm das Messinstrument beim Flug in 2,5 Kilometern Höhe ein Signal eines hochenergetischen Teilchenstrahls auf, während ein Blitz über das Flugzeug hinweg zuckte. Mit dieser Messung wurde erstmals eine theoretische Vorhersage bestätigt, die auf der Beobachtung des Gammateleskops Fermi basiert.
Fermi registrierte bereits 2011 einen bis dahin unbekannten und somit unerwarteten Gammastrahlen-Überschuss oberhalb großer Gewitterwolken. Das Auffällige dabei: Die Energie dieser Strahlung lag bei genau 511 keV (Kiloelektronenvolt) – genau der Wert an Energie, der bei der Elektron-Positron-Annihilation in Form von zwei Photonen entsteht. Die Schlussfolgerung: In Gewittern muss es Antimaterie geben. Als Ursache für die Entstehung von Antiteilchen sahen die Forscher schnell die Blitze des Gewitters. Blitze entstehen durch Ladungsdifferenzen in der Wolke, können Stromstärken von mehreren 10.000 Ampere erreichen und die Umgebungsluft auf bis zu 30.000°C erhitzen. Zudem rufen sie – so vermuteten die Wissenschaftler – Kernreaktionen der Luftmoleküle hervor, wobei auch Positronen erzeugt werden können.
Im Februar 2017 gelang schließlich erstmals die Bestätigung dieser Hypothese, als sich mehrere starke Blitze in der Nähe der extra für diesen Zweck aufgestellten Messgeräte (in der Nähe des japanischen Kernkraftwerks Niigata) entluden. Während schon die Detektoren des Kernkraftwerks selbst eine 200 Millisekunden andauernde Freisetzung von Gammastrahlen registrierten, ergab die Analyse der Gesamt-Daten später, dass auf eine kurze und heftige Gamma-Entladung ein schwächeres Nachglühen folgte und schließlich etwa eine Minute lang vermehrt Strahlung der Energie 511 keV freigesetzt wurde. In dieser letzten Phase zerfällt das instabile Stickstoff-13-Isotop zu Kohlenstoff, wobei neben einem Neutrino auch ein Positron frei wird. Trifft dieses auf ein Elektron, wird die gemessene typische Gammastrahlung freigesetzt.
Was also zunächst nach Stoff für Science-Fiction klingt, ist auf den zweiten Blick realer als gedacht: An stürmischen Tagen entsteht Antimaterie direkt über unseren Köpfen!
