Alles verkehrt mit der Dunklen Materie?
Unbekannt und unsichtbar – und möglicherweise gar nicht vorhanden? Bereits seit Beginn der 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts ist eine unsichtbare – im Dunkeln liegende – Art der Materie im Universum in aller Munde. Denn die Indizienlage war schon 1932 eindeutig: In jenem Jahr nämlich entdeckte Jan Hendrik Oort, dass, vereinfacht gesagt, die Massendichte in der Scheibe unserer Milchstraße deutlich größer war als damals angenommen. Aus seinen Ergebnissen schlussfolgerte er, dass es eine verborgene Masse im Bereich der Milchstraßenscheibe geben müsse. Zur gleichen Zeit erkannte der Schweizer Physiker Fritz Zwicky, dass der Coma-Galaxienhaufen nicht allein durch die Gravitationswirkung seiner sichtbaren Mitglieder zusammengehalten werden kann. Seinen Berechnungen zufolge wäre die 400-fache Masse nötig, um den Haufen zusammenzuhalten! Die Idee der Dunklen Materie stieß zu dieser Zeit jedoch noch auf große Skepsis, teils sogar vehemente Ablehnung.
Auch 30 Jahre später zeigten weitere Untersuchungen der Astronomin Vera Rubin, dass eine nicht sichtbare Form der Materie in Galaxien existieren muss: Sie untersuchte die Umlaufgeschwindigkeiten von Sternen in fernen Welteninseln, die mit zunehmendem Abstand zum Zentrum der Galaxie abnehmen müssten. Nur mittels Dunkler Materie können die – im Vergleich zur Theorie – viel zu großen Geschwindigkeiten erklärt werden.
Spätere Durchmusterungen, Computeranalysen und Simulationen bestätigten ebenso immer wieder aufs Neue die Theorie der Dunklen Materie, sodass sie im heute allgemein anerkannten kosmologischen Standardmodell – dem sogenannten Lambda-CDM-Modell – verankert ist.
Neue Beobachtungen der Milchstraße und ihrer Nachbargalaxie, der Andromeda-Galaxie, überraschten Kosmologen und Dunkle-Materie-Fans nun jedoch sehr: Das Verhalten der Begleitgalaxien der Andromeda-Galaxie und der Milchstraße scheint nicht vereinbar mit dem kosmologischen Standardmodell zu sein!
Diese Satellitengalaxien wurden erst vor wenigen Jahren entdeckt: Sie sind auf einer Ebene um ihre jeweilige Hauptgalaxie angeordnet und bewegen sich im gleichen Drehsinn wie Hauptgalaxie um diese herum. Bisher wurden diese Begleiter als "Ausnahmen von der Regel", aber dennoch mit dem Standardmodell vereinbar, behandelt.
Oliver Müller von der Universität Basel fand nun jedoch heraus, dass die Begleiter offenbar weit mehr als nur kleine Ausreißer von der Normalität sind. Er untersuchte die Satellitengalaxien von Centaurus A (NGC 5128), die in einer Entfernung von etwa 13 Millionen Lichtjahren zu uns um ihre Hauptgalaxie angeordnet sind. Besonders an Centaurus A ist, dass ihre Begleiter senkrecht zur Hauptebene angeordnet sind. Mit Hilfe von Analysen der Sternbewegungen konnte das Team um Oliver Müller nachweisen, dass 14 von 16 Satellitengalaxien eine ähnliche Bewegung innerhalb einer Ebene aufweisen. Verglichen mit aktuellsten Simulationen und Modellen ist dieser "Herdentrieb" sehr auffällig; Demnach sollten höchstens 0,5% der Satellitensysteme einer Galaxie ein solches Verhalten aufweisen!
Diese sogenannte kohärente Bewegung sei ein, so Müller, "universelles Phänomen, das nach neuen Erklärungen verlangt". Hier herrscht also ein – zugegebenermaßen seltener – klarer Fall von Widerspruch zwischen Theorie und Beobachtung. Dass es sich um einen Zufall handelt, schließt Müller allerdings klar aus.
Welche Folgen diese Beobachtungen nun für die Kosmologie und das Standardmodell haben, wird sich mit genaueren Untersuchungen zeigen.
